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Die neue Maschinenverordnung – Gefährliches Halbwissen

Erstellt von Jörg Handwerk am 20.08.23 18:57

Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ist in die Jahre gekommen und wird den aktuellen technologischen Entwicklungen nicht mehr gerecht, etwa hinsichtlich Daten- und Cybersicherheit. Es kam zu Mängeln und Unstimmigkeiten sowohl bei den nach der Richtlinie gebauten Maschinen und Produkten als auch im Konformitätsbewertungsverfahren. Mit der neuen Maschinenverordnung sollen deswegen die Bestimmungen vereinfacht, verbessert und an die Bedürfnisse des Marktes angepasst werden.

 

Die Chronologie der Maschinenverordnung

Das ging ganz schön schnell:

  • Im Dezember 2022 einigten sich EU-Rat und EU-Parlament, dass eine neue Maschinenverordnung die aktuelle Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ersetzen soll.

  • Am 18. April 2023 stimmte die Mehrheit des EU-Parlaments für die neue Maschinenverordnung.

  • Am 22. Mai 2023 verabschiedete der Europäische Rat die Maschinenverordnung

  • Am 29. Juni 2023 wurde die neue Maschinenverordnung im EU-Amtsblatt als Verordnung (EU) 2023/1230 veröffentlicht.

 

Maschinenverordnung vs. Maschinenrichtlinie

Jedes Mitgliedsland der EU muss eine Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Dabei müssen sie sich an die Vorgaben halten, können die Richtlinie aber bis zu einem gewissen Grad interpretieren und an die eigenen Bedürfnisse anpassen, sie sogar übererfüllen. Für Maschinenbauer bedeutet das bisher vor dem Verkauf einer Maschine ins europäische Ausland, zunächst einmal deren Umsetzung der Maschinenrichtlinie in nationale Gesetzgebung anzusehen, um die jeweilige Auslegung der Maschinenrichtlinie zu erfahren. Diese unterschiedlichen Auslegungen führten zu Rechtsunsicherheiten auf Herstellerseite.

Eine europäische Verordnung bietet hingegen keinen Interpretationsspielraum. Sie gilt 1:1 in allen Mitgliedstaaten. Die EU will durch die Verordnung Klarheit schaffen, den Verwaltungsaufwand reduzieren und sicherstellen, dass die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen und die Konformitätsbewertungsverfahren für alle Akteure einheitlich gelten.

 

Wer muss die Maschinenverordnung anwenden?

Maschinenbauer sind dennoch wenig begeistert: Sie haben sich an die Maschinenrichtlinie gewöhnt, wissen, was wie umgesetzt werden muss und wer die Richtlinie wie interpretiert.

Doch es nutzt alles nichts: Jeder, der Produkte herstellt, die unter die neue Verordnung fallen, muss die Anforderungen einhalten. Und im Prinzip sind das die gleichen Produkte wie bei der Maschinenrichtlinie. Geändert hat sich nur die Bezeichnung: Die Maschinenverordnung spricht nun von „Maschinen und dazugehörigen Produkten“ statt von „Maschinen“. Der neue Begriff soll das Verständnis vereinfachen. Alle Unternehmen, die diese herstellen, verändern und aufbereiten, sind betroffen.

 

Wann tritt die Maschinenverordnung denn jetzt in Kraft?

Seit etwa fünf Jahren kursierten immer wieder Informationen durch die Medien, dass es eine neue Maschinenverordnung geben werde, die die Maschinenrichtlinie ablösen soll. Lange wurde hin und her diskutiert, keiner wusste so recht, was die konkreten Inhalte sein würden. Das größte Problem stellen aber die Fristen dar, wann die neue Maschinenverordnung in Kraft tritt und angewendet werden muss: Hier kursierten Zahlen zwischen 20 und 42 Monaten nach der Veröffentlichung. Entsprechend hat sich viel Halbwissen verbreitet.

Und Klarheit besteht nach wie vor nicht: Denn ab wann die neue Maschinenverordnung nun tatsächlich gelten soll, darüber scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Richtlinien werden üblicherweise im Amtsblatt der EU veröffentlicht und sind mit einem Datum versehen, ab wann sie in Kraft treten. Ab dann müssen sie umgesetzt werden. Die Maschinenrichtlinie wurde zum Beispiel am 9. Juni 2006 veröffentlicht, sollte bis zum 29. Juni 2008 in nationales Recht umgesetzt sein und trat am 29. Dezember 2009 in Kraft.

Bei der Maschinenverordnung stellt sich die Lage nun so dar, dass sie 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung (29. Juni 2023) in Kraft treten soll. Nach normaler Lesart wäre sie dann auch anzuwenden, doch Vorsicht, dem ist nicht so. Denn die Gremien haben eine Stichtagsregelung beschlossen: Demnach muss die Maschinenverordnung erst 42 Monate nach dem Stichtag angewandt werden, zumindest kommunizieren der VDMA und andere das so. Doch die Aufsichtsbehörden scheinen das anders zu sehen: Sie wollen die neue Maschinenverordnung schon 20 Tage nach Inkrafttreten angewendet sehen. Wer recht hat? Keiner weiß es.

Nun ist in der deutschen Rechtsprechung in der 9. Verordnung des Produktsicherheitsgesetzes noch die Maschinenrichtlinie verankert. Das deutsche Recht gibt demnach die Anwendung der Maschinenverordnung noch nicht her. Andererseits steht EU-Recht über nationalem Recht.

Wer muss die Maschinenverordnung anwenden, wer kann und wer darf? Eine parallele Anwendung von Richtlinie und Verordnung ist nicht vorgesehen.

 

Maschinenverordnung: Das verändert sich

Viele Maschinenbauer haben regelrecht Angst vor der neuen Maschinenverordnung und fürchten, dass jetzt alle Uhren auf null gedreht werden und alles neu und anders wird. Dem ist nicht so. Manche Aspekte verändern sich, manche verschärfen sich und wieder andere kommen neu dazu.

  • Was sich verändert: Die Reihenfolge der Anhänge wird neu sortiert. Allgemeine Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, im Anhang 1 der Maschinenrichtlinie zu finden, stehen nun in Anhang 3. Die Liste mit Maschinen mit erhöhtem Gefährdungspotenzial, früher Anhang 4, steht jetzt in Anhang 1.

  • Verschärft werden Anforderungen an Wirtschaftsakteure – das sind Hersteller, Händler, Bevollmächtigte und Importeure. Ein Händler muss nun zum Beispiel die EU-Konformitätserklärung und die Dokumentation vorhalten können. Außerdem wird die Liste von Maschinen mit hohem Risikopotential (Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, Anhang IV) erweitert.

  • Neu sind zudem Vorgaben zur Cybersicherheit von Maschinen.

Man muss keine Angst vor der neuen Maschinenverordnung haben, auch wenn es ein paar Fragezeichen gibt. Streng genommen hätten Unternehmen sich mit dem Thema Cybersicherheit schon längst beschäftigen müssen, die Maschinenverordnung stellt hier nun allgemeine Sicherheitsanforderungen auf – Maschinen sind so zu sichern, dass Eingriffe von außen die Sicherheit des Produkts nicht gefährden.

Dabei gibt es allerdings ein Problem: Wo Richtlinien und Verordnungen Sicherheitsanforderungen formulieren, werden sie von Normen, technischen Dokumenten, untermauert und konkretisiert. Von der EU harmonisierte Normen besagen, dass mit ihrer Einhaltung die Einhaltung der entsprechenden Richtlinien und Verordnungen gewährleistet wird, hier gilt dann die Konformitätsvermutung.

Nur: In Sachen Cyber-Sicherheit gibt es noch keine harmonisierten Normen (und entsprechend weiß keiner, welche Geräte welche Probleme verursachen und wie man sie lösen kann).

 

Maschinenverordnung: Vorsicht, hier lauern Haftungsrisiken

Das Problem unterm Strich: Die Maschinenverordnung ist ein Gesetz und wer ein Gesetz falsch auslegt, begibt sich in den Bereich von Haftungsrisiken. Schließlich wird die Maschinensicherheit durch die EG-Konformitätserklärung bestätigt und die basiert auf der Maschinenrichtlinie bzw. bald auf der Maschinenverordnung.

Nun ist eine Maschine nicht in drei Tagen gebaut. Gerade der Sondermaschinenbau hat schnell Entwicklungszeiten von zwei Jahren und Bauzeiten von einem Jahr, bevor ein Produkt auf den Markt kommt. Wird heute mit der Entwicklung begonnen, kann es also passieren, dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bereits die neue Maschinenverordnung gilt. Damit erfüllt die Maschine wesentliche neue Anforderungen nicht – und es dürfte nicht so einfach sein, diese auf den aktuellen Stand zu bringen. Dann bringt der Maschinenbauer ein Produkt in den Verkehr, das der aktuellen Gesetzeslage nicht mehr entspricht – und das darf er nicht.

Im umgekehrten Fall, wenn heute schon nach neuer Maschinenverordnung konstruiert wird, obwohl noch die Maschinenrichtlinie gilt, sieht es etwas anders aus: Denn es ist zu erwarten, dass sich die Anforderungen eher erhöhen werden. Wer nach der Maschinenverordnung baut, übererfüllt damit wahrscheinlich die Anforderungen der Maschinenrichtlinie und die Konformitätserklärung könnte nach einer Prüfung umdeklariert werden.

 

Maschinenverordnung – was tun? Die Handlungsempfehlung

Unternehmen sollten sich deswegen sofort mit der neuen Maschinenverordnung beschäftigen, auch wenn sie sie vorerst nicht anwenden müssen. Sie sollten vorbereitet sein – möglicherweise ändert sich die Auslegungsfrage doch und die Maschinenverordnung muss direkt angewandt werden.

 

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Themen: Risikobeurteilung, CE-Kennzeichnung / Konformitätserklärung, Maschinenrichtlinie / Maschinenverordnung

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