Warum es für den US-Markt nicht reicht eine deutsche Anleitung ins Englische zu übersetzen, erklärte der Rechtsanwalt und Diplom-Ingenieur Dr. Mathew Kundinger bei seinem Seminar US- Produkthaftung: Leben mit „Punkt Sechs“. Hier ein persönlicher Rückblick auf zwei lehrreiche Tage in Würzburg.
Am ersten Tag kam die Ernüchterung
Nach einem reichhaltigen Frühstück finde ich mich am ersten Seminartag in einen Raum mit rund elf weiteren Teilnehmern und Herrn Dr. Kundinger ein. Erwartungsvolle Gesichter seitens der Teilnehmer. Eine kurze Vorstellungsrunde: zwei bis drei Berater, die in ähnlicher Position wie ich sind, also quasi als Dienstleister und Berater für Hersteller arbeiten, und viele Technische Redakteure für Maschinenhersteller, die wahlweise allein oder im Team bereits erste Anleitungen für den US-Markt schreiben. Gerüchteweise hieß es in anderen Vorträgen, dass eine Anleitung, welche auf dem deutschen Markt den Anforderungen genügt, auch in USA bestehen würden. Diesen fest verankerten und erfüllenden Glauben musste mir Herr Dr. Kundinger bereits in den ersten Stunden mehr oder weniger gewaltvoll entreißen. Genauso wie meine typisch deutsche Denkweise, an der unser Referent im Laufe der zwei Tage sicherlich das eine oder andere Mal fast verzweifelt ist.
„100%ige Rechtssicherheit gibt es nicht“
Den ersten Vormittag widmete sich Herr Dr. Kundinger den US-Einwohnern. Da er selbst seit über 30 Jahren in Los Angeles lebt, hatte er diesbezüglich einiges zu berichten. So erläuterte er uns die Unterschiede zwischen den einzelnen Generationen, die Defizite zwischen Arm und Reich, das Bildungssystem und vor allem die Mentalität des Durchschnittsbürgers. So weit, so gut. Als er uns das Rechtssystem jedoch näher erläutert, ist bei mir spontan die anfängliche Vorfreude auf rechtssichere US-Anleitungen gegen Null gesunken. „Eine 100%ige Absicherung ist nie möglich. Rechtssicherheit gibt es in den USA nicht!“ – eine Aussage von Herrn Dr. Kundinger, die nachklingt. Für uns sicherheitsliebenden Deutschen ist diese Feststellung schon schwer zu verdauen. Für einen deutschen Technischen Redakteur bricht hiermit quasi die bekannte Weltordnung zusammen. Warum der US-Rechtsmarkt so schwierig zu beherrschen ist, erläuterte der Referent ausführlich. Zusammengefasst eine Mischung aus Geld, listigen Anwälten, Geld, persönlicher Meinung der Jury und Geld. Und da Herr Dr. Kundinger selbst US-Anwalt ist, wird er sich auf diesem Gebiet sicherlich auskennen.
Vom Knast zur Sicherheit
Bis zur Kaffeepause am Nachmittag bekamen wir Teilnehmer einen guten Einblick in die Rechtswelt der USA und fragten uns: Stehen wir schon mit einem Bein im Knast? Vielleicht. Denn sicher kann man sich tatsächlich nie sein. Diese Erkenntnis wird sich auch im Laufe des zweiten Tages nicht ändern. Also Mut zur Lücke und die hilfreichen Informationen von Herrn Dr. Kundinger aufsaugen wie ein Schwamm. Doch zuerst: die deutsche Denkweise ablegen. Das war für mich definitiv der schwierigste Teil. Die ANSI Z535.6 war mir durchaus bekannt und die Struktur für die Sicherheitshinweise verwenden wir auch in unseren deutschen Anleitungen. Hier brachte der Referent trotzdem durch seine Einblicke als Mitglied des ANSI Z535 Komitees neue Aha-Effekte. So werde ich zukünftig das Kapitel „Sicherheit“ etwas überarbeiten und an unserer Struktur feilen. Und auch wenn die Maschinenrichtlinie in USA keine Bedeutung hat, so erhält die Risikobeurteilung auch hier einen hohen Stellenwert – zur Freude meinerseits.
Aus fünf mach acht
Weniger erfreut war ich über die Tatsache, dass wir wesentlich detaillierter beschreiben müssen, da wir nicht genau vorhersehen können, welchen Bildungsstand unsere Leser haben. Wenn wir in Deutschland beschreiben, dass die Abdeckung nach den Wartungsarbeiten wieder festgeschraubt wird, sollten wir für den US-Bürger bestenfalls noch die Schraubrichtung angeben – auch für „Fachpersonal“. Aus fünf Handlungsschritten werden so schnell acht Schritte. In meiner Vorstellung schlägt mein imaginärer Kunde bei diesen Worten die Hände über den Kopf zusammen. Eine wesentlich detailliertere Anleitung kostet einfach auch wesentlich detaillierter mehr Geld. Damit müsse sich der Hersteller einfach abfinden, erwiderte Herr Dr. Kundinger auf meinen entsprechenden Einwand. Wer also in den USA verkaufen möchte, der sollte die Mehrkosten einer guten Anleitung einkalkulieren.
Gesetze, Normen, Richtlinien
Natürlich wollten wir alle wissen, ob es nicht ein US-Pendant zur Maschinenrichtlinie gibt. Das würde uns schließlich die Arbeit erleichtern. Nein. Gibt es nicht. Auch ein Produkthaftungsgesetz im europäischen Sinne gibt es nicht. Stattdessen gibt es viele verschiedene Vorschriften, die über diverse Gesetzeswerke verteilt wurden. Auch zahlreiche Normen gibt es. Jedoch wird es einem deutschen Unternehmen nur schwer gelingen, alle gängigen Normen herauszufiltern. Herr Dr. Kundinger empfiehlt daher die Einbeziehung von US-Unternehmen, wie entsprechend qualifizierte Dienstleister. Unwissenheit schützt auch hier vor Strafe nicht: Vom Hersteller wird erwartet, dass er alle gängigen Normen und Standards kennt und einhält.
Am Ende steht der Anfang
Mein Fazit am Ende der zwei Tage voller US-Eindrücke, Fallstricke und Empfehlungen: Ein einfaches Übersetzen lassen der deutschen Anleitung genügt nicht – auch hier hat Herr Dr. Kundinger uns viele Punkte aufgezeigt, über die wir rein sprachlich stolpern können. Wir sollten US-Anleitungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auch das oberflächliche „Kennen“ und anwenden der ANSI Z535.6 reicht noch lange nicht aus. Aber durch die Teilnahme am zweitägigen Seminar von Herrn Dr. Kundinger bin ich dem Thema einen großen Schritt nähergekommen. Und: Eine 100%ig rechtssichere Anleitung für den US-Markt gibt es eh nicht.