Ein faires Gehaltsmodell, das alle Beschäftigten mittragen – mit diesem Anspruch will der Bremer Zertifizierungsdienstleister CE-CON im Wettbewerb um Fachkräfte punkten. Wie das funktioniert, das erklärt Unternehmerin Maren Handwerk im Gespräch mit Staatsrat Kai Stührenberg.
Faires Gehaltsmodell
Das „CE“-Kennzeichen begleitet uns im Alltag, es prangt auf elektronischen Geräten oder Maschinen. Mittels des Zeichens erklären Hersteller:innen, dass das Produkt entsprechende EU-Richtlinien und -Gesetze einhält. Dafür müssen sie umfangreiche Dokumentationen bereithalten und gegebenenfalls noch selbst Unterlagen zusammenstellen. Die CE-CON aus Bremen berät dabei. Das 30-köpfige Team hilft Unternehmen in Deutschland, aber auch auf der ganzen Welt bei der CE-Kennzeichnung, führt Workshops und Coachings durch und hat eine eigene Software entwickelt, die den gesamten Prozess digitalisiert.
Ein herausforderndes Umfeld in der Schnittmenge zwischen Ingenieurswesen und Informatik, wo Fachkräfte rar gesät und schwer zu finden sind. Für Mitgründerin und Geschäftsführerin Maren Handwerk ist deshalb Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gleichstellung und eine faire Bezahlung eine zentrale Stellschraube für den Unternehmenserfolg. Im Interview mit Kai Stührenberg, Staatsrat bei der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation, spricht sie unter anderem über Erfahrungen bei der Einführung eines neuen Gehaltsmodells.
Frau Handwerk, Sie haben Lohntransparenz in Ihrem Betrieb eingeführt und ein Gehaltsmodell dazu, was für alle nachvollziehbar sein soll und von allen getragen wird. Wie waren Ihre ersten Erfahrungen nach Einführung?
Handwerk: Auf der einen Seite wurden die Gespräche offener und ehrlicher, auf der anderen Seite entstanden aber natürlich auch Vergleichsdebatten. Die können anstrengend sein, dennoch sind sie wichtig und gut. Wenn es um Geld geht, kommt man relativ schnell zum Kern. Die Debatten nicht zu führen, kostet am Ende mehr Zeit.
Haben Sie den Beschäftigten das neue Modell einfach fertig präsentiert oder wie sind Sie dazu gekommen, es einzuführen?
Handwerk: Nein, so etwas funktioniert nur, wenn alle mitziehen. Deshalb ist es wichtig, solche zentralen Organisationsthemen aus dem Team heraus zu entwickeln. Im Unternehmen bearbeiten wir strategische Themen nach der OKR-Methode (siehe unten). Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht, kommen so schnell zu Zielen. Es gibt bei uns OKR-Teams, die drei Monate lang an einer Fragestellung arbeiten. Das Thema Entlohnungsmodell war dabei eine solche Teamaufgabe – übrigens war ich gar nicht dabei. Das von dem Team entwickelte Entgeltmodell haben wir noch verfeinert und dann eingeführt. Da sind wir aber gerade noch im Entwicklungsprozess, unser System ist noch nicht final. Ehrlich gesagt, ist es auch gar nicht mein Anspruch daran, es als fertiggestellt zu bezeichnen. Denn Vergütung ist ja ein sehr zentrales Element in unserer Arbeitswelt und spiegelt unsere Bedürfnisse wider. Diese sollten sich an die aktuelle Entwicklung anpassen können.
Managementmethode OKR – Objectives and Key Results
Die OKR-Methode soll Organisationen die Möglichkeit geben, schnell auf ein komplexes und sich ständig veränderndes Umfeld zu reagieren. Sie vereint die Anforderungen aus der Führungsebene (strategische Ziele) mit denen aus der Umsetzungspraxis (operative Ziele) und generiert aus beiden kurzfristig umsetzbare Unternehmensziele. Dabei setzt sie auf selbstorganisierte Teams, kurze Laufzyklen, Transparenz und kontinuierliche Anpassung oder Veränderung an die Erfordernisse des Umfelds. Bekannt wurde die Methode etwa durch den Einsatz bei Google.
Und das hat gut funktioniert?
Handwerk: Ja, bis zu dem Zeitpunkt, wo wir einen neuen Kollegen eingestellt haben und den ebenso hoch eingestuft haben in unserem Entgeltmodell wie andere im Team, die schon länger dabei waren. Da kam die berechtigte Kritik, warum wir ihn so eingestuft haben. Das hat uns in der Unternehmensführung wiederum gezeigt, dass wir zwar bei dem Entgeltmodell transparent waren, aber nicht bei der Einstufung in dieses Modell. Und deshalb haben wir ein Bewertungssystem eingeführt, anhand dessen wir die Einstufung vornehmen.
Die dann die Vorgesetzten vornehmen?
Handwerk: Nein. Wir sehen uns als selbstlernende, nicht-hierarchische Organisation. Wir wünschen uns, dass alle sich am Unternehmensgeschäft beteiligen, dass alle ihren Beitrag leisten zur Weiterentwicklung der Organisation. Unser Organigramm ist kein klassisches Wasserfall-Organigramm, sondern ein Kreisdiagramm. Es besteht aus verschiedenen Kreisen, die sich von außen nach innen aufbauen. Außen stehen zum Beispiel die Kundinnen und Kunden oder Fachkräfte, innen wir als Chefs. Es soll unserem Anspruch gerecht werden, dass Entwicklungsimpulse von außen nach innen gesetzt werden und nicht von oben nach unten.
Aus dem Organigramm haben wir Beurteilungsfaktoren entworfen, zu denen fachliche, soziale und organisatorische Punkte gehören. Die einzelnen Beschäftigten werden dann von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten aber auch durch Kundinnen- und Kundenbefragung beurteilt. Aufgrund des Bewertungssystems können wir dann die Mitarbeitenden in Gehaltsstufen einordnen, höhere Einstufungen vornehmen, wenn es gut läuft oder sehen, wo noch Entwicklungspotenzial besteht. Das macht es für alle transparent.
Läuft man da nicht Gefahr, dass die Kolleginnen und Kollegen sich gegenseitig in den Himmel bewerten?
Handwerk: Klar. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle über die Konsequenzen davon bewusst werden. Es ist ganz zentral, dass unsere Beschäftigten ein gewisses unternehmerisches Verständnis entwickeln. Die Einschätzungen der Kolleginnen und Kollegen haben Folgen auf die Bezahlung anderer. Die Mitarbeitenden lernen, Verantwortung für Gehaltsthemen zu übernehmen. In dieser Arbeit entwickeln sich Team und Geschäftsführung gleichermaßen weiter.
Wichtig dabei: Es geht nicht nur darum, ein neues Gehaltsmodell zu installieren – dann könnte man auch einen Tarifvertrag nutzen. Es geht darum, tiefer einzusteigen: Was ist uns unsere Arbeit eigentlich wert? Was verstehen wir unter Leistung? Wofür wollen wir bezahlt werden?
Wie gehen Sie mit Bewerber:innen um, die mehr verlangen, als Ihr Modell hergibt?
Handwerk: Wir besprechen das im Team. Das Team hat denselben Druck wie wir, die brauchen ja auch die Leute, um die Aufträge zu bearbeiten und ihre Arbeit zu schaffen. Und so suchen wir gemeinsam nach Lösungen. Wenn die Entscheidungsprozesse für alle transparent sind, können auch alle die Entscheidung mittragen.
Gibt es einen Betriebsrat bei Ihnen?
Handwerk: Nein – ich hätte aber auch kein Problem mit einem Betriebsrat. Für mich hat ein Betriebsrat die Funktion, dass er die Wünsche der Mitarbeitenden kanalisiert. Ich will aber eigentlich gar nicht dieses Chefin-Mitarbeitenden-Hierarchieverhältnis. Als Unternehmen insgesamt können wir nur richtig erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam verstanden haben, was wir hier machen.
In der Praxis ist das natürlich durchaus eine Herausforderung, denn Hierarchien sind ja noch selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft, das fängt ja schon in der Schule an. Und nicht jede und jeder kann mit dem Wegfall von Hierarchien etwas anfangen. Wir müssen die Leute da abholen, wo sie sich befinden und das ist natürlich ein aufwendiger Prozess.
Sie sprechen von hohem Aufwand. Ist denn das alles notwendig? Geht es auch nicht ohne?
Handwerk: Ja, es ist notwendig, das ist meine Überzeugung. Wir leben schließlich in einer vielfältigen Gesellschaft, in der es immer eine Herausforderung bleiben wird, individuelle Bedürfnisse und kollektive Entscheidungen unter einen Hut zu bekommen. Das geht aus meiner Sicht nur über Beteiligung und Selbstverantwortung. Gerade als kleines Unternehmen ist das natürlich nochmal besonders schwierig, weil man nicht so viel Manpower hat, die man in die Organisationsentwicklung stecken kann, gleichzeitig steht man aber vor denselben Fragen, die sich auch Konzerne stellen. Aber man muss da mithalten. Ich kann ja nicht Themen wie Teilzeit, Flexibilität oder Familienfreundlichkeit sein lassen, nur weil ich klein bin.
Stichwort Familienfreundlichkeit. Sie tragen als Unternehmen das Siegel “Ausgezeichnet Familienfreundlich“. Was bedeutet das für Sie?
Handwerk: Als junge Eltern sind wir damals mit dem Anspruch gestartet, ein Unternehmen zu schaffen, in dem wir alle Erfordernisse unter einen Hut bringen können. Und das leben wir auch so. Familienfreundlichkeit im Unternehmen bedeutet aber nicht nur Gendergerechtigkeit, sondern auch auf verschiedene Bedürfnisse des Teams einzugehen. So hat zum Beispiel die Generation Z einen anderen Lebensentwurf als manch andere Mitarbeitende: Für sie spielt die Work-Life-Balance eine zentrale Rolle, weniger der Verdienst. Diese Pole müssen wir im Unternehmen vereinen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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