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Wesentliche Veränderung nach neuer Maschinenverordnung (EU) 2023/1230

Geschrieben von Stephan Grauer | 13.11.25 12:46

Die Ausgangslage

Maschinen sind langlebige Investitionsgüter, die oft über mehrere Jahrzehnte betrieben werden. Das führt dazu, dass bestehende Maschinen regelmäßig erweitert, umgebaut oder modifiziert werden. Dabei stellt sich jedes Mal die Frage:

Ist diese Veränderung eine so genannte wesentliche Veränderung? Was zur Folge hätte,
dass ein neues Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen ist.

Die Problematik betrifft nicht nur Maschinen, sondern alle Produkte, die in den Anwendungsbereich von CE-Vorschriften fallen. Daher galt dafür bisher das, was im Blue Guide zu diesem Thema ausgeführt wurde:

“Ein Produkt, an dem erhebliche Veränderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden, um die ursprüngliche Leistung, Verwendung oder Bauart zu verändern, kann als neues Produkt angesehen werden. Die Person, die die Veränderungen vornimmt, wird dann zum Hersteller mit den entsprechenden Verpflichtungen.” (Blue Guide 2022, Kapitel 2.1)

Doch an welchen Kriterien das bei Maschinen festgemacht werden kann, war nicht in der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG geregelt. Der Leitfaden dazu hat das Thema auch elegant umschifft:

“Es stellt sich damit die Frage, ab wann ein Umbau einer Maschine als Bau einer neuen
Maschine gilt, welche der Maschinenrichtlinie unterliegt. Es ist nicht möglich, präzise Kriterien
zu formulieren, mit denen diese Frage in jedem Einzelfall beantwortet wird. Im Zweifel
ist es für die Person, die eine derartige wieder aufgebaute Maschine in Verkehr bringt
oder in Betrieb nimmt ratsam, mit den zuständigen einzelstaatlichen Behörden Rücksprache
zu halten.” (Leitfaden MRL 2.3, April 2024, § 72 Neue und gebrauchte Maschinen).

Immerhin: Für Deutschland hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein “Interpretationspapier” dazu veröffentlicht. Dies war hierzulande die Richtschnur, um bei Umbauten zu prüfen, ob eine wesentliche Veränderung vorliegt oder nicht.

Trotzdem: Für Hersteller und Betreiber eine unbefriedigende Situation. Denn der Bereich “Retrofit” macht einen nicht unerheblichen Teil des Maschinenmarktes aus. Und hierfür keine binnenmarktweite einheitliche Regelung zu haben, konnte nicht nur schnell zu längeren internen Diskussionen führen, sondern auch zu Auseinandersetzungen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden.

Insofern wurde im Zuge der Überarbeitung der Maschinenrichtlinie hin zur neuen Maschinenverordnung dieses Thema mit beraten. Denn ein Ziel der Überarbeitung war es auch, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen!

Die neue Regelung in der Maschinenverordnung

Mit der Veröffentlichung der neuen Maschinenverordnung 2023 war es dann auch so weit: Die wesentliche Veränderung ist jetzt legal definiert und explizit geregelt. Da die Maschinenverordnung als europäische Verordnung auch unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen gilt, sind auch keine nationalen “Interpretationen” mehr notwendig.

Deswegen lohnt es sich auf jeden Fall, diese Regelungen genau unter die Lupe zu nehmen. Und auch zu überlegen, was sich im Vergleich zum bisherigen Vorgehen anhand des BMAS-Interpretationspapiers geändert hat.

Der Wortlaut

Was steht drin in der Maschinenverordnung (EU) 2023/1230:

Artikel 3 Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

 16. „wesentliche Veränderung“ bezeichnet eine vom Hersteller nicht vorgesehene oder geplante physische oder digitale Veränderung einer Maschine oder eines dazugehörigen Produkts nach deren bzw. dessen Inverkehrbringen oder Inbetriebnahme, die die Sicherheit der jeweiligen Maschine oder des dazugehörigen Produkts beeinträchtigt, indem eine neue Gefährdung entsteht oder sich ein bestehendes Risiko erhöht, wodurch es erforderlich wird,

 a) die Maschine oder das dazugehörige Produkt um trennende oder nichttrennende Schutzeinrichtungen zu ergänzen, deren Einbindung eine Anpassung des bestehenden Sicherheitssteuerungssystems erforderlich macht, oder

 b) zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Stabilität oder der Festigkeit der jeweiligen Maschine oder des dazugehörigen Produkts zu ergreifen;”

Artikel 18 Sonstige Fälle, in denen die Pflichten des Herstellers gelten

Eine natürliche oder juristische Person, die eine wesentliche Veränderung an einer Maschine oder einem dazugehörigen Produkt vornimmt, gilt für die Zwecke dieser Verordnung als Hersteller und unterliegt den in Artikel 10 genannten Pflichten des Herstellers für diese Maschine bzw. dieses dazugehörige Produkt oder, wenn sich die wesentliche Veränderung wie in der Risikobeurteilung gezeigt nur auf die Sicherheit einer Maschine oder eines dazugehörigen Produkts, das Teil einer Gesamtheit von Maschinen ist, auswirkt, für die betroffene Maschine bzw. das betroffene dazugehörige Produkt.

Die Person, die die wesentliche Veränderung vornimmt, muss insbesondere, jedoch unbeschadet anderer Verpflichtungen nach Artikel 10, sicherstellen und auf ihre alleinige Verantwortung erklären, dass die betroffene Maschine bzw. das betroffene dazugehörige Produkt den geltenden Anforderungen dieser Verordnung entspricht, und muss das einschlägige Konformitätsbewertungsverfahren nach Artikel 25 Absätze 2, 3 und 4 dieser Verordnung anwenden.

Ein nichtprofessioneller Nutzer, der eine wesentliche Veränderung an seiner Maschine oder seinem dazugehörigen Produkt für den Eigengebrauch vornimmt, gilt für die Zwecke dieser Verordnung nicht als Hersteller und unterliegt nicht den Pflichten des Herstellers nach Artikel 10.”

Was genau bedeutet das?

Aus Artikel 18 MVO gehen also die Pflichten desjenigen hervor, der eine Maschine wesentlich verändert. Er wird - kurz gesagt - zum Hersteller und muss die CE-Kennzeichnung wie für ein neues Produkt durchführen.

Eine Ausnahme gibt es lediglich für Privatpersonen, die ein Produkt nur für den Eigengebrauch nutzen.

Ansonsten gilt es im Rahmen der Prüfung einer wesentlichen Veränderung folgende Fragen zu beantworten:

Erfolgt eine physische Veränderung der Maschine?

Erfolgt eine digitale Veränderung der Maschine?

Ist die Veränderung vom Hersteller bereits vorgesehen oder geplant worden?

Entsteht eine neue Gefährdung?

Erhöht sich ein bestehendes Risiko?

Wird die Sicherheit der jeweiligen Maschine beeinträchtigt?

Wird dadurch die Ergänzung um oder von trennenden oder nichttrennenden Schutzeinrichtungen notwendig?

Macht deren Einbindung eine Anpassung des bestehenden Sicherheitssteuersystems erforderlich?

Oder sind zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Stabilität oder der Festigkeit der jeweiligen Maschine oder des jeweiligen Produkts erforderlich?

Das Ergebnis lässt sich aus diesem Flussdiagramm ablesen:

Das Problem dabei: Die Antworten auf die oben genannten Fragen werden nicht immer eindeutig ausfallen. Teilweise hängt es davon ab, zu welcher Einschätzung man im Rahmen einer Risikobeurteilung kommt. Andererseits sind nicht alle Begriffe in der Definition zu 100% bestimmt. Was genau z.B. ist unter einer “Anpassung” des bestehenden Sicherheitssteuersystems zu verstehen?

Wo findet man die Antworten?

Die Antworten auf die oben genannten Fragen wird teilweise der Leitfaden zur neuen Maschinenverordnung beantworten können. Als lebendiges Dokument wird sich dort mit der Zeit ein neuer Interpretationsrahmen entwickeln. Bis es soweit ist, gilt es den Wortlaut zu interpretieren und seine Schlussfolgerungen möglichst gut zu begründen. Letztlich aber wird immer das gelten, was auch der Blue Guide schon zum Thema gesagt hat: “Dies ist von Fall zu Fall und insbesondere vor dem Hintergrund des Ziels der Rechtsvorschriften und der Art der Produkte im Anwendungsbereich der betreffenden Rechtsvorschrift zu entscheiden.”


Und was genau hat sich jetzt geändert?

Vergleicht man das bisherige Interpretationspapier des BMAS mit dem Wortlaut der Maschinenverordnung, dann kann man folgende Änderungen feststellen:

  • Änderung der Software kann ausreichen
    Das ist gegenüber dem Interpretationspapier eine deutliche Klarstellung und Erweiterung. Im Blue Guide 2022 war das aber auch schon so beschrieben.

  • Teilweise Umkehr der Betrachtungsweise
    Die neuen Regeln schauen gewissermaßen von der anderen Seite auf bestimmte Punkte.
    Beim Interpretationspapier wurde gefragt: Sind die vorhandenen Schutzmaßnahmen ausreichend? Die Maschinenverordnung dagegen fragt: Wird dadurch die Ergänzung um oder von trennenden oder nichttrennenden Schutzeinrichtungen notwendig?
    Beim Interpretationspapier wird nach “einfachen Schutzmaßnahmen” gefragt, mit denen das Risiko eliminiert oder ausreichend minimiert werden kann. Die Maschinenverordnung knüpft die Einfachheit daran, dass die Einbindung von Schutzmaßnahmen keine Anpassung des bestehenden Sicherheitssteuersystems erforderlich macht.

Legt man die beiden Prüfungsschemata übereinander, so wird das Ergebnis in den meisten Fällen gleich sein.

Vorsicht aber beim Thema “Stabilität oder Festigkeit”. Hier führt die Maschinenverordnung einen neuen Punkt ein, der bisher nicht im Interpretationspapier oder im Blue Guide abgefragt wurde. Wenn hier zusätzliche Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, dann ist das quasi eine neue Kategorie von wesentlicher Veränderung. Welche Schutzmaßnahmen genau gemeint sind, sollte aber noch der Leitfaden zur MVO näher definieren!

Beim Thema “Wesentliche Veränderung bei einer Gesamtheit von Maschinen” folgt die MVO dem Ansatz aus dem Interpretationspapier des BMAS und konkretisiert diesen: Wenn die Risikobeurteilung ergibt, dass sich die wesentliche Veränderung nur auf eine Teilmaschine einer Gesamtheit von Maschinen auswirkt, so muss auch nur für diese Teilmaschine die Konformität neu bewertet werden. Dieser Aspekt ist vor allem für das Retrofit von größeren Anlagen von ganz entscheidender Bedeutung!

Beispiele zur Veranschaulichung

Fragestellung:
Sind zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Stabilität oder der Festigkeit der
jeweiligen Maschine oder des jeweiligen Produkts erforderlich?

Situation:
Zur Produktivitätssteigerung soll die Durchsatzgeschwindigkeit einer Produktionslinie erhöht
werden. Alle Punkte des Ablaufdiagramms führten zu keiner wesentlichen Veränderung. Es
finden keinerlei sonstige Modifikationen an der Maschine statt. Das bestehende
Schutzsystem aus trennenden und beweglich trennenden Schutzeinrichtungen mit
Verriegelung mit Zuhaltung gewährleistet den weiterhin sicheren Betrieb der Maschine. Mit
verkürzten Wartungsintervallen kann dem ev. erhöhten Materialverschleiß entgegen gewirkt
werden. Jedoch sind zur Erzielung der gewünschten Geschwindigkeitserhöhung erheblich
größere und somit auch schwerere Antriebe nötig.

Die Montage der Antriebe erfolgt mit Hilfe von Montageplatten an der Maschinenrückwand.
Hier muss geklärt werden, ob die Maschinenauslegung bereits die erhöhte Belastung mit
abdeckt oder die Maschinenkonstruktion versteift werden muss. (Nicht nur statische sondern
auch dynamische Belastungen sind hier zu berücksichtigen.)
Konstruktive Eingriffe in die Maschine führen dann zu einer wesentlichen Veränderung und
machen ein neues Konformitätsbewertungsverfahren notwendig.

Fragestellung:
Erfolgt eine digitale Veränderung?

Situation:
Eine Werkzeugbearbeitungsmaschine wird überholt und auf den technisch aktuellen Stand
gebracht. Es findet keinerlei Leistungserhöhung statt, es kommen keine neuen Funktionen
hinzu. Es findet keine wesentliche Veränderung statt. Die Steuerung mit HMI Bedieneinheit
an der Maschine wir ebenfalls ausgetauscht. Die neue Sicherheitssteuerung erfüllt
mindestens die Anforderungen der bestehenden Sicherheitsfunktionen und ermöglicht
zusätzlich den Zugriff über WLAN von einem übergeordneten Bedienstand.
Diese Veränderung führt zu einer wesentlichen, da dies bislang so nicht vorgesehen war und
erfordert daher die Durchführung eines neuen Konformitätsbewertungsverfahren.

Wer kann unterstützen?

Beim Umbau von bestehenden Maschinen ist der Betreiber in der Regel die einzige beteiligte Partei. D.h. er plant den Umbau, bewertet, ob es sich dabei um eine wesentliche Veränderung handelt, und muss dann auch die daraus resultierenden Konsequenzen beachten und umsetzen.
Insofern ist es in vielen Fällen für den Betreiber sinnvoll, eine Meinung von außen einzuholen und die Frage, ob es sich um eine wesentliche Veränderung handelt oder nicht, von externen Fachleuten prüfen zu lassen.
Wir von der CE-CON haben schon viele Umbaumaßnahmen oder Retrofit-Projekte begleitet und anhand der Kriterien des Blue Guide und des Interpretationspapiers des BMAS bewertet. Unsere Expertinnen und Experten werden Sie auch in Zukunft bei Bewertungen nach der neuen Maschinenverordnung kompetent unterstützen.